Bahnhof Oybin an Zittauer Schmalspurbahn

PANORAMASTREETLINE erstellte für die Ausstellung „Tore zur Welt“ einzigartige fotografische Fassadenabwicklungen sächsischer Bahnhofsgebäude. Gerade langgestreckte Bahnhofsfronten bieten sich aufgrund ihrer funktional bestimmten architektonischen Charakteristik für diese Technik an. Jörg Dietrich, der Fotograf hinter dem Projekt, antwortet auf inhaltliche Fragen des SCHAUPLATZ EISENBAHN (Chemnitz) zu dessen Konzept der Streetline-Aufnahmen.

Wie entstand die Idee für Streetline Aufnahmen von Straßenzügen und Gebäuden?

Aus Interesse und aus der Feststellung heraus, dass diese Fotos, Streetlines wie wir sie dann später genannt haben, einfach nicht gemacht werden. Der Entstehungsprozess ist relativ aufwändig und so gibt es nur vereinzelte Beispiele. Mein Ansatz war es hier die Breite zu dokumentieren und ein Archiv ausfzubauen, das regional bis international solche Ansichten erstellt, sammelt, vermarktet und präsentiert – oder im Auftrag auch gezielt erstellt.

Dahinter steckt aber ganz grundsätzlich das Interesse an unserer Baukultur. Im Internet entsteht ein vielfältiges und beeindruckendes virtuelles Bild unserer Welt. Auf Jahrzehnte hinaus erhält sich so ein detailliertes Bild unserer heutigen gebauten Umwelt. Mit PanoramaStreetline tragen wir dazu bei indem wir eine fotografische Lücke schließen. Unsere Gebäudeportraits und Strassenansichten aus Städten und Dörfern überall auf der Welt legen den Fokus auf die Einzigartigkeit und die Tradition von architektonischen Entwicklungen verschiedener Orte.

In unseren Streetlines zeigen sich Veränderungen der Stadt durch Gesellschaft und Zeit, vor allem aber zeigen wir die Vielfalt der Architektur von Städten in einem Zusammenspiel, das selbst der Betrachter vor Ort kaum wahrnehmen kann.

Wie kam es dazu, Bahnhofsgebäude als eigenes Thema für diese Fototechnik zu wählen?

Bahnhofsgebäude haben für mich schon immer eine ganz eigene Bedeutung für eine Stadt. Sie sind einerseits Anker der städtischen Identifikation und Entwickung und andererseits ein „modernes“ Eingangstor für Besucher von außerhalb. Sie ersetzen gewissermaßen die Repräsentationsfunktion, die früher einzelne Stadttore innehatten.

Gleichzeitig sind sie häufig schwer fotografierbar. Von vielen bedeutenden Bahnhofsgebäuden gibt es nur einzelne perspektivische Darstellungen oder schematische Zeichnungen. Gerade durch die häufig langen, repräsentativen Gebäudefronten sind sie klassisch schwer auf einem Foto darstellbar, hier bietet sich unsere linearisierende Technik ganz logisch an – und selbst diese stößt bei so dreidimensionalen Fronten wie am Leipziger Hauptbahnhof schnell auf Probleme.

Welche Bahnhöfe sind Dir im Zuge des Projekts besonders ins Auge gefallen?

Da gibt es gleich mehrere, gerade da die Baustile und Entwicklungsgeschichte sehr vielfältig ist. Dresden Neustadt zum Beispiel wirkt grundsätzlich wie ein typischer Großstadtbahnhof im Stile des Historismus, erhält aber durch die aufgesetzte Glaspyramide als Dach eine sehr einzigartige Wirkung. Kommt man nach Tharandt, das in einem schmalen Gebirgstal liegt, erklärt sich das große repräsentative Bahnhofsgebäude nicht durch die kleine Stadt, aber durch Lage und Bedeutung der Forststadt. Als ich die Aufnahme erstellt habe vor einigen Jahren, musste man sich wohl zu Recht Sorgen machen, dass dieses Gebäude an einer Hauptverkehrsstraße verschwinden könnte. Immerhin, jetzt wird es für Studentenwohnungen aufwändig saniert.

Von der Bildwirkung her spannend sind auch die großen symmetrischen Bahnhofsfronten, z.B. in Freiberg oder Geithain, Gebäude die für ihre Orte jeweils eine bautypische Besonderheit darstellen. Hier ist es zudem interessant zu sehen, wie diese Gebäude auf historischen Fotos, mit zeitgemäßer Gestaltung wirkten. Mir persönlich ist außerdem die Entwicklung an meinem Heimatbahnhof in Werdau wichtig, früh ein Umsteigebahnhof zwischen der Verbindung Dresden-Werdau und Leipzig-Hof. Hier entstand eine mehrfach erweiterte und überbaute Gebäudekomposition, die im Kern in die 1860er zurückreicht. Allerdings wird seit Jahren der Abriss des Gebäudes geplant und es bleibt spannend was da letztendlich entstehen wird, ein kleiner Betonkiosk als Ersatz oder vlt. doch ein Hybrid aus Altbauelementen und Neubau?

Vor allem ist mir aber aufgefallen wie vielfältig die Herausforderungen in der Nutzung der alten Bahnhofsgebäude für die Kleinstädte Sachsens ist und wie vielfältig auch die Möglichkeiten. Neben den Beispielen hier in der Ausstellung gibt es ja z.B. auch noch den Geoportal Bahnhof Mügeln, den Generationenbahnhof Erlau, den Nomos Firmenhauptsitz Bahnhof Glashütte, den Musik- und Kulturbahnhof Leisnig, den Bahnhof Theaterakademie Sachsen in Delitzsch, das Bürgerhaus im Bahnhof Freital-Potschappel, Tourismus-Bahnhöfe wie in Oybin oder Altenberg bzw. den zukünftigen Forschungscampus Bahnhof Annaberg-Buchholz.

Bahnhof Glashütte Panorama Fassade Nomos Uhrenmanufaktur

Bahnhof Glashütte, Nomos Uhrenmanufaktur

Diese Ausstellung blickt sehr ausführlich auf sächsische Bahnhofsarchitektur, wie sieht es über die Grenzen unseres Bundeslandes hinaus aus?

Genauso spannend. Das Feld Bahnhofsarchitektur ist so vielfältig wie es die Städte sind. Allein in Deutschland kann man es kaum eingrenzen. In meinem Archiv schlummern z.B. Aufnahmen sehr prägnanter Bahnhofsgebäude in Wiesbaden, Bremen, Köln oder Nürnberg. Aber auch ungewöhnliche Kleinstadtbahnhöfe wie der Hundertwasser-Bahnhof in Uelzen, Bahnhöfe in Stendal, Dannenberg, der besonders sehenswerte Bahnhof in Hamm und viele weitere.

International wird es dann erst recht grenzenlos – überall gibt es repräsentative Bahnhofsarchitektur in unterschiedlichsten Stilen – ein Blick ins Archiv beinhaltet u.a. Breslau, Basel, Glasgow, Paris, Prag, Kopenhagen, Washington, Mailand, Istanbul und den einem ägyptischen Tempel nachempfundenen Bahnhof von Luxor. Um es kurz zu machen, es gäbe viel Material dieses Ausstellungsprojekt weiterzuentwickeln.

Dann sind Sie selber vermutlich auch regelmäßiger Bahnreisender?

Unbedingt. Tatsächlich habe ich in den Corona-Jahren und für die vielen verstreut liegenden sächsischen Kleinstadtbahnhöfe auch öfter das Auto genutzt, aber überregional bevorzuge ich definitiv die Bahn für Fotoaufnahmen. Bei überregionalen Verbindungen schaue ich mir immer an, welche Städte an den Bahnlinien liegen und versuche dann 2-3 Kurzaufenthalte für einige Stunden einzubauen. Ich erinnere mich noch gut an mein Projekt mit dem Institut Francais. Ich war für 2 Tage zu Aufnahmen in Lyon und die Rückreise war dann eine Bahnreise mit Stop in Grenoble, Übernachtung in Chambery (dort liegt das Schloss der Herzöge von Savoyen), dann Stops in Genf, Bern und Basel und schließlich der Nachtzug von Basel nach Leipzig. Ich erinnere mich aber auch gut, wie schwer mir die Beine dann in Basel wurden und wie froh ich über meinen Liegeplatz im Zug nach Leipzig war.