Zwar wird das historische Leipzig heute oft als Messe- und Handelsstadt charakterisiert, doch Leipzigs Rolle als Industriemetropole war nicht weniger bedeutsam. So gehörte Leipzig zwar nicht zu den Keimzellen der sächsischen Industrialisierung, wie aber bereits im südlichen Sachsen kam auch hier der Textilindustrie die Vorreiterrolle zu. So nahm die Kammgarnspinnerei zu Leipzig an der Pfaffendorfer Straße im Jahr 1830 ihren Betrieb auf. Nahezu zeitgleich entstanden auch die ersten Verlags- und Druckereibauten im, später so genannten, graphischen Viertel. Wirklich an Fahrt gewann die Industrialisierung durch die Entwicklung der späten 1830er Jahre. In diese Zeit fällt nicht nur die Errichtung einer leistungsfähigen Kanalisation, der Bau des ersten städtischen Gaswerks und die Einweihung der ersten Eisenbahnstrecken, sondern auch die rechtliche Aufwertung der Vorstädte. In der Folge entstanden um die Innenstadt zahlreiche neue Stadtviertel, die nicht nur Wohngebäude, sondern auch diverse Fabriken beherbergten.
Bahnhof Leipzig-Plagwitz
In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die stadtnahen Dörfer der Umgebung in diese Entwicklung zunehmend einbezogen. Reudnitz, Gohlis und Lindenau vervielfachten ihre Einwohnerzahl in den folgenden Jahrzehnten und übertrafen in Bezug auf die Industriedichte auch schnell das alte Leipziger Stadtgebiet. Am heftigsten aber verlief dieser Prozess in Plagwitz. Das kleine Dorf hinterm Sumpf wurde ab 1856 durch Karl-Heine zu einem Fabrikstandort mit beispielloser Infrastruktur entwickelt und mit 112 Industrieschornsteinen pro Quadratkilometer galt es in den 1920er Jahren als dichtestes Industriegebiet weltweit.
Das Druckmaschinenwerk Swiderski in Leipzig Plagwitz
Das Industrieensemble Gießerstrasse in Leipzig Plagwitz, links heutiger Sitz der Firma Spreadshirt
Dabei nahm der Maschinenbau eine überragende Stellung ein, wenngleich dies nicht nur für Plagwitz, sondern für die gesamte Stadt galt. Vor allem der Druck-, Land- und Schwermaschinenbau entwickelte sich stark, eine Branche die zu jener Zeit überaus vielfältig aufgestellt war. Bemerkenswerterweise gilt dies auch für die Gesamtheit der Leipziger Industrie, die in verschiedenen Bereichen eine erstaunliche Dominanz besaß. So stammten phasenweise achtzig Prozent aller weltweit gedruckten Noten aus Leipzig. Auf ähnliche Werte kamen die Hersteller selbstspielender Musikinstrumente, wobei der Instrumentenbau auch in anderen Bereichen überaus bedeutsam war. Phasenweise existierten bis zu zwanzig Klavierfabriken gleichzeitig in der Stadt, darunter Schwergewichte wie Blüthner, Hupfeld, Schimmel und Feurig. Vielfältig vertreten waren weiterhin die Bereiche Metallverarbeitung, Nahrungsmittel-, Tabak- und Chemieindustrie. Dass auch die Textilbranche stark vertreten war, veranschaulichen noch heute die riesigen Gebäudekomplexe der Buntgarnwerke oder der alten Spinnerei. So entfielen im frühen 20. Jahrhundert mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze in Leipzig auf das produzierende Gewerbe, in welchem 1928 etwa 170.000 Menschen tätig waren.
Die ehemaligen Buntgarnwerke in Leipzig-Plagwitz
Das Karl Krause Werk, Polygraph Leipzig in Leipzig Anger-Crottendorf
Da die Nationalsozialisten die vorhandenen Strukturen für Rüstung missbrauchten, stieg dieser Wert weiter an und auch zu DDR-Zeiten blieb Leipzig eine überaus wichtige Industriestadt. Die meisten der alten Produktionsstätten wurden unter sozialistischen Vorzeichen nach 1945 weitergenutzt und einige Branchen besaßen selbst in dieser Zeit noch beachtliches Gewicht. Doch wirkte sich der Mangel an Investitionen und Innovation zunehmend negativ aus. Kurioserweise beendete der Untergang der nur vierzig Jahre existierenden DDR, auch weitestgehend die viel weiter zurückreichende Geschichte der ostdeutschen Industrie. Natürlich wäre längst nicht alles rettbar gewesen, doch der Totalverlust der alten Wirtschaftsbastionen hätte durch eine kompetentere Wirtschaftspolitik durchaus verhindert werden können.
Die Konsumzentrale in Leipzig-Plagwitz
Die Pittler-Werke in Leipzig-Wahren
Die ehemalige Aromafabrik in Leipzig Gohlis, heute ein Seniorenheim
Weitere Abwicklungen von Industriegebäuden regional und international finden Sie in unserem Archiv unter dem Stichpunkt Industriekultur.
Dieser Text des Autoren Sebastian Ringel stammt aus unserer Ausstellung „Industrie.Kultur.Bauten„.
Das Titelbild des Beitrags zeigt die Globuswerke in Leipzig-Plagwitz.
Das Hupfeld-Center (1911) Sitz der Ludwig Hupfeld AG, zu DDR Zeiten VEB Deutsche Piano-Union